Energieversorgung der Zukunft in der Form miteinander verbundener Zellen und Inseln sowie nationalen Playern?

Dr. Volker Breisig, PwC

14. Mitteldeutsches Energiegespräch am 19. April 2018 in Leipzig

Energieversorgung der Zukunft in der Form miteinander verbundener Zellen und Inseln sowie nationalen Playern? (9*)

TOUR D´HORIZON ZUM STAND DER ENERGIE-, WÄRME-, UND MOBILITÄTSWENDE ANHAND DER POLITISCHEN NOTWENDIGKEITEN DES KOALITIONSVERTRAGES/Interview mit Dr. Volker Breisig, PwC

Das 14. Mitteldeutsche Energiegespräch unternimmt eine TOUR D´HORIZON ZUM STAND DER ENERGIE-, WÄRME-, UND MOBILITÄTSWENDE ANHAND DER POLITISCHEN NOTWENDIGKEITEN DES KOALITIONSVERTRAGES. Wie würden Sie bitte den gegenwärtigen Stand einschätzen?

Die Energiewende ist kein Selbstzweck. Deutschland hat sich ambitionierte Ziele für den Umbau der Energieversorgung gesetzt, um den Ausstieg aus der Kernkraft und die deutliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen (THG) über alle Sektoren hinweg realisieren zu können. Ersteres ist auf einem guten Weg. Bezüglich der THG-Reduzierung bin ich skeptisch. Wir haben unsere Ziele nicht erreicht, und hier muss noch einiges passieren. Aus meiner Sicht hätten Union und SPD die Klimaziele für 2020 nicht infrage stellen dürfen. Es wäre vielmehr an der Zeit gewesen, transparent darzustellen, in welchen Handlungsfeldern mehr Aktivitäten erforderlich sind und wie das angegangen werden soll.


Was müsste denn in den kommenden 3 bis 5 Jahren oder in der noch verbleibenden gegenwärtigen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages parlamentarisch auf den Weg gebracht werden, um den Erfolg des Gesamtprojektes zu sichern, wenn man auf das 2-Grad-Ziel und die damit verbundene CO₂-Reduzierung schaut?

Vieles! Bevor man sich allerdings auf die vielen Details stürzt, sollte vor allem die grundsätzliche Strategie geklärt werden. Ich habe aktuell den Eindruck, dass die Chancen und auch die Notwendigkeit der Energiewende zu wenig in den Vordergrund gestellt werden. Gemäß einer umfangreichen Delphi-Studie, die wir gemeinsam mit dem BDEW und der GIZ durchgeführt haben, wird eine moderne und nachhaltige Energiewirtschaft mit möglichst geringen THG-Emissionen ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Positionierung von Volkswirtschaften sein. Zunächst mal ist daher wichtig, dass sich die Politik klar zur Energiewende bekennt und deren Notwendigkeit erklärt.
Darüber hinaus haben wir zu wenig Markt. Viele Entscheidungen für oder gegen Investitionen im Strommarkt sind durch politische Vorgaben, Umlagen usw. getrieben. Das kann sich nur ändern, wenn ein gemeinsamer Strommarkt für alle Arten der Erzeugung und Flexibilitäten (bspw. durch Speicher) geschaffen wird. Wir sollten dazu die Kosten für Investoren und die Preise für Verbraucher wieder in einen direkten Zusammenhang bringen und schlagen dafür u.a. den Übergang zu einer anderen Preisstruktur vor. Langfristige Entscheidungen für die Errichtung aber auch die Inanspruchnahme von Erzeugern/Verbrauchern aller Art sollten durch einen Preis für Leistung (kW) angereizt werden. Alle kurzfristigen Entscheidungen hingegen sollen nach der in Anspruch genommenen Arbeit (kWh) abgerechnet werden. Dadurch könnte der Arbeitspreis von den vielen Umlagen, Steuern usw. befreit werden und deutlich sinken. Bei zunehmend erneuerbar erzeugten Strom würde ein geringerer Arbeitspreis dazu führen, dass dieser auch stärker für andere Sektoren wie Wärme und Mobilität genutzt werden würde. Dies wäre dann auch ein echter Beitrag zur Sektorkopplung und zur CO₂-Reduzierung.


Sehen Sie im internationalen Vergleich auch künftig Deutschland als einen Treiber und damit als eine Lokomotive bei der Gestaltung und Umsetzung der Energiewende?

Ich glaube, dass Deutschland seine Rolle als Lokomotive verloren hat. Wir sollten aber versuchen diese Rolle wieder zurück zu erobern und das auch wahrnehmbar kommunizieren. Die Energiewirtschaft wird in den kommenden Jahren weltweit viele Innovationen und intelligente Lösungen entlang der Wertschöpfungskette nachfragen. Energiewende hört ja nicht bei Windkraft und PV auf. Wir sollten deutlicher als bisher herausstellen, dass die Bereiche Energiespeicherung, Energiemanagement, Energieeffizienz, Smart Grids usw. ebenso wichtige Bausteine unserer Energiewende sind und unsere Lösungen fit für den Weltmarkt machen.


Nun zeichnen sich, getrieben durch E.ON SE und RWE AG, gravierende Veränderungen in der Energielandschaft in Deutschland ab. Muss die Branche dadurch umdenken, ihre Konzepte ändern und neu ausrichten oder anpassen?

Die beiden Unternehmen reagieren auf eine Energiewirtschaft, die sich bereits gravierend verändert hat und stärken ihre Handlungsfähigkeit für die Herausforderungen der Zukunft. Beide Unternehmen haben die Folgen der Energiewende in besonders intensiven Maße gespürt und sind dadurch vermutlich sehr sensibel bzgl. künftiger Marktanforderungen. Ich denke, dass jeder Energieversorger ebenso intensiv die eigene Positionierung im Markt und die künftige Ausrichtung analysieren muss und dann daraus konsequente Entscheidungen ableiten sollte. Ich denke aber auch, dass diese Entscheidungen in einem zunehmend vielfältiger werdenden Markt unternehmensindividuell unterschiedlich ausfallen werden.

Sind insbesondere die klassischen Versorger, die Stadtwerke, für die im Markt und im technologischen Bereich stattfindenden gravierenden Umwälzungen gut gerüstet, um die Zukunft erfolgreich zu meistern?

Die Energiewende hat das bisherige System insbesondere in der Stromversorgung nachhaltig verändert. Strom geht nicht mehr von wenigen zentralen Kraftwerken erst in die Übertragungsnetze und dann über die Verteilnetze zum Nutzer. Laut unserer Delphi Studie könnte die Energieversorgung der Zukunft die Form einer Zellenstruktur annehmen: miteinander verbundene Zellen und „Inseln“ von der Größe einer Stadt oder Quartieren beziehen ihre Energie aus Sonne, Wind, Speichern und geringer konventioneller Reserve. Der Strommarkt wird geprägt sein durch hohe Auflösung, leistungsgemessene Kunden und “real time pricing“. Die Stadtwerke aber auch andere branchenfremde Unternehmen sind dafür sicherlich noch nicht umfassend aufgestellt. Das wäre auch erstaunlich, da der Wettbewerb darum, wer welche Rolle übernehmen wird, gerade erst Fahrt aufnimmt. Von den Rahmenbedingungen her haben die Stadtwerke jedoch aus meiner Sicht eine sehr gute Ausgangsposition, um sich als Dreh- und Angelpunkt für die Energiewende vor Ort zu positionieren.


Bedarf es auch künftig nationaler Player bei der Sicherung der Energieversorgung einer Volkswirtschaft oder kommt es infolge der stärkeren regionalen Antworten auf die Energiewende zu mehr Einfluss der sogenannten Graswurzelbewegung?

Beides ist wichtig. Die oben erwähnte Zellenstruktur muss auch übergeordnet gemanagt werden und dafür sind nationale Player, die am besten aber auch einen internationalen Stellenwert haben, von großer Bedeutung. Die neuen Herausforderungen in den Bereichen Wärme, Mobilität und Digitalisierung erfordern nationale Player, die auf Augenhöhe mit anderen Wettbewerbern und Marktpartnern die Entwicklung nach vorne treiben können. Dabei wird vor allem auch auf europäischer Ebene die Kooperation mit den Marktpartnern sowohl in regulierten als auch in nicht regulierten Segmenten noch wichtiger werden als heute.


Politik, so heißt es, benötigt Macht, um zu gestalten, und Macht setzt auch im Energiebereich Fakten. Setzt Politik diese Gestaltungskraft stets zielführend ein, beispielsweise in der Digitalisierung oder bei Mobilität und Verkehr?

Aus meiner Sicht sollte Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und ansonsten möglichst auf Marktmechanismen vertrauen und nur dort, wo es nicht anders geht konkret eingreifen Ich habe bei uns jedoch eher den Eindruck, dass die Politik sehr häufig auch in untergeordneten Fragestellungen über Vorgaben und konkrete Maßnahmen eingreift. Dabei verlieren wir die klare Zielrichtung in den inzwischen sehr komplexen Rahmenbedingungen und Regelwerken. Dies gilt auch für Mobilität und Verkehr. Hätten wir im Hinblick auf eine echte Sektorenkopplung zwischenzeitlich Rahmenbedingungen für günstigeren Strom geschaffen, dann brauchten wir keine gesonderten Kaufprämien für E-Autos.


Gegenwärtig wird viel über die Blockchain-Technologie gesprochen, mitunter ohne genauere Vorstellungen und das entsprechende Basiswissen, meist im Sinne einer Schlüsseltechnologie, mit der viele Markteilnehmer zur selben Zeit die gleiche Information zur Verfügung gestellt bekommen. Sehen Sie für die Energiewende darin ein kluges Anwendungsgebiet und  einen Erfolgstreiber?

Die Technologie befindet sich in einer frühen Phase, kann jedoch zukünftig deutliche Strukturveränderungen in der Energiewirtschaft bewirken. Eine flächendeckende Verbreitung der Blockchain in der Energiewirtschaft ist in den nächsten Jahren noch nicht abzusehen, da dafür u.a. erhebliche regulatorische Anpassungen erfolgen müssen.


Wie sollte man sich überhaupt als kleines, mittleres, ja auch großes Stadtwerk gegenüber der vielfach gepriesenen Technologieoffenheit, bei der Nutzung neuer Technologien, beispielsweise der Blockchain- Technologie, verhalten, auf den “Zug aufspringen”, zurückhaltend beobachten und geeignete Experten zu Rate ziehen oder die Bestandssicherung des eigenen Kundengeschäfts zum Maßstab aller Dinge machen?

Die Initiierung von Pilotprojekten ist bereits mit überschaubaren Aufwand heute möglich und liefert ein Verständnis über mögliche Anwendungsfälle. Wir würden das durchaus empfehlen, da sich vor allem auf Quartiersebene interessante Modelle testen lassen.

Herr Dr. Breisig ist Partner bei PwC im Bereich Utilities & Regulation (U&R) in unserer Niederlassung in Düsseldorf.

Herr Dr. Breisig hat Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen an der RuhrUniversität Bochum studiert. Seine Promotion hat er im Bereich Maschinenbau abgeschlossen.

Projekterfahrung

Herr Dr. Breisig verfügt über eine mehr als 17-jährige Berufserfahrung im Energiesektor. Seit seinem Eintritt bei PwC im Jahr 2000 berät er Energieversorgungs- und Industrieunternehmen sowie Branchenverbände zu diversen energiewirtschaftlichen, betriebswirtschaftlichen und technischen Fragestellungen. Er betreut zudem seit vielen Jahren Arbeitsgemeinschaften, in denen sich zahlreiche Stadtwerke zusammengeschlossen haben.

Herr Dr. Breisig hat umfangreiche Projekterfahrung entlang der gesamten energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Der aktuelle Schwerpunkt der Tätigkeiten ist die Beratung von Energieversorgungsunternehmen bei der Anpassung von Geschäftsmodellen auf die Herausforderungen der Energiewende. Er und sein Team begleiten u.a. diverse Projekte in den Themenfeldern Energieerzeugung (Kraft-Wärme-Kopplung, Gaskraftwerke), Energiespeicher (Power To Gas, Erdgasspeicher), Energieeffizienz und Verbrauchssteuerung. Aktuelle Beratungsprojekte auf der Netzbetreiberseite sind die Erstellung von Kosten-Nutzen-Analysen für den Netzentwicklung und die Begleitung von Verteilnetzbetreibern bei der Sicherstellung der Systemstabilität.

Herr Dr. Breisig ist darüber hinaus für das Thema ganzheitliches Energiemanagement (GEM) bei Industrieunternehmen und für den PwC Energiewendeoutlook zuständig. Ein Auszug seines Mandantenportfolios beinhaltet unter anderem multinational agierende Firmen aus der Energiebranche wie RWE, E.ON, Vattenfall, Gaspool, Net Connect Germany sowie zahlreiche Stadtwerke und Industrieunternehmen.

(*In loser Folge bittet der Verlag Vi-Strategie unter der Rubrik AKTUELLES Experten, Zeitzeugen und Persönlichkeiten der Zeitgeschichte um Antwort zu allgemein-interessierenden Fragen.
Im 9. Interview (Sehen Sie bitte auch AKTUELLES vom 22.03.2018 ff) gibt aus Anlass des 14. Mitteldeutschen Energiegespräches Dr. Volker Breisig, Partner bei PwC PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, in einer TOUR D´HORIZON ZUM STAND DER ENERGIE-, WÄRME-, UND MOBILITÄTSWENDE ANHAND DER POLITISCHEN NOTWENDIGKEITEN DES KOALITIONSVERTRAGES Auskunft über Zukunftsszenarien in diesen Bereichen. NACHDRUCK OHNE GENEHMIGUNG NICHT GESTATTET.)