“Wir ´brüten´ die Ideen so weit aus, bis eine operative Einheit im Haus einen Business Case erfolgreich umsetzen kann.”

16. Mitteldeutsches Energiegespräch am 20. November 2018 in Leipzig

Wir ´brüten´ die Ideen so weit aus, bis eine operative Einheit im Haus einen Business Case erfolgreich umsetzen kann.”

Interview mit Dr. Holger Krawinkel, Leiter Customer Experience und Innovation der MVV Energie AG, über seinen “Inkubator” sowie neue Geschäftsmodelle in der Integrierten Energiewende

Dr. Holger Krawinkel Leiter Customer Experience & Innovation der MVV Energie AG, Mannheim

Die Diskussion über “Geschäftsmodelle der Integrierten Energiewende – smart und innovativ” anlässlich des 16. Mitteldeutschen Energiegesprächs macht deutlich, wie regulierte Innovation des intelligenten Messwesens zu steigendem Wettbewerb und zur Ablösung des bestehenden Geschäftsmodells der Energielieferanten führen kann. Inwieweit ist denn die MVV Energie AG hierauf bereits vorbereitet?

Dieser These kann ich so nicht zustimmen. Im Gegenteil wird z.B. unser Produkt Smart Metering Plus (Mehrspartenfähigkeit) erheblich ausgebremst. Wir dürften ab dem ersten Tag an das Produkt nicht mehr so verkaufen, da über die zertifizierten Gateways nicht gleichzeitig Strom, Gas + Submetering-Daten geschickt werden können. Wir sind also schon weiter als der Regulierungsprozess.

Sie verantworten den Bereich Customer Experience und Innovation, die “Innovationsschmiede” der MVV Energie AG, wenn man so sagen darf. Können Sie bitte an ein paar Beispielen oder Zahlen den Einfluss des “Inkubators”, wie Sie selbst ein wenig empathisch Ihren Bereich nennen, illustrieren?

Unsere Schwerpunkte beinhalten innovative Geschäftsmodelle im Zusammenhang mit Elektrifizierung oder Sektorkopplung, wie die neue Stromwelt oft leider weniger verständlich bezeichnet wird. Wir „brüten“ die Ideen so weit aus, bis eine operative Einheit im Haus einen Business Case erfolgreich umsetzen kann. Konkret geht es um Elektromobilität, Elektrowärme, dezentrales und quartiersbezogenes Energiemanagement inkl. PV und Batteriespeicher. Wichtig dabei sind uns dabei immer auch die Kundenwünsche.


Nun zeigt sich aber auch, dass nicht alle Unternehmen die Kraft und Möglichkeit haben, sich derart für Künftiges aufzustellen. Was raten Sie insbesondere kleineren Energieversorgern? Gibt es da vielleicht ein Rezept?

Wir bieten viele Komponenten auch als White-Label-Lösungen an und wollen dieses Segment auch weiter ausbauen, insbesondere auch für Stadtwerke.

Letztlich geht es um die geeignete Nutzung der Kundendaten. Wie können kleinere Versorgungsunternehmen im Bestreben um die Nutzung der Daten Ihrer Kunden, denkt man an kapitalintensive Geschäftsprozesse, geringere Margen, flexibles Reagieren, ihr Geschäftsmodell am besten sichern und weiterentwickeln?

Kundenlösungen zu verkaufen ist komplexer als der Vertrieb von Commodities. Dazu brauche ich eine bestimmte Mindestgröße. Ob die Energiewirtschaft unabhängig von der Unternehmensgröße bei der Skalierung von digitalen Geschäftsmodellen wirklich erfolgreich sein kann, ist offen. Was wir gut können, ist die Skalierung von analogen Prozessen.

Wir sprachen eingangs davon, dass regulatorische Rahmenbedingungen disruptive Faktoren nach sich ziehen können oder sogar begünstigen. Welchen Einfluss hat Ihrer Meinung nach der Kundenwandel (Stichworte digital native, weniger Bindung an Marke und Produkt) auf neue Geschäftsmodelle?

Man sollte sich nicht verrückt machen lassen. Strom wird immer gebraucht, wahrscheinlich in Zukunft sogar sehr viel mehr als heute. Klar wandert ein Teil der Stromwirtschaft in den Konsumgütersektor mit z.T. höheren Zahlungsbereitschaft als für Commodities, z.B. für dachintegrierte PV-Anlagen. Aber auch diese Kunden wollen, dass der Strom jederzeit verlässlich aus der Steckdose kommt und sei es in Gestalt von Ladeboxen. Da wird es für die Elektrizitätswirtschaft genug zu tun und zu verdienen geben.

Inwieweit steuern Sie derzeit schon über Kundenzufriedenheitsanalysen die Einführung von neuen Geschäftsmodellen?

Kunden wollen, wenn sie an PV und Batterien denken, was sie im Übrigen gerne tun, begeistert werden. Das setzt ein hohes Maß von Autarkie voraus, die ohne weiteres technisch noch nicht möglich ist. Daher braucht es Angebote wie eine Flatrate, damit der Reststrom sozusagen automatisch mitgeliefert wird. Das bieten wir an. Bei der Elektromobilität wollen die Kunden vor allem zu Hause laden. Auch hierfür haben wir ein Produkt im Angebot.


Wenn man neue Geschäftsmodelle in der Integrierten Energiewende eruiert, sollte man dann stets von Sektor übergreifenden Lösungen ausgehen oder Sie vielleicht auch in einem Neusortieren der Branche in neuen Kooperationsketten oder veränderten Wettbewerbsstrukturen sehen?

Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess, in dem sich die Wertschöpfung von den Commodities hin zu Dienstleistungen verlagert. Um z.B. Energiemanagement bei Wohnungsunternehmen, Rechenzentren oder Gewerbekunden erfolgreich zu betreiben, braucht man qualifizierte Partner.

Abschließend bitte noch einen Blick in die Glaskugel. Wir haben in diesem Jahr 20 Jahre liberalisierte Energiemärkte, das Mitteldeutsche Energiegespräch hat sein sechsjähriges begangen. Wie schätzen Sie unter dem Aspekt der eingangs erörterten neuen Geschäftsmodelle, aber auch der derzeitigen Zaghaftigkeit der Politik die Umsetzung der Integrierten Energiewende in den nächsten fünf Jahren ein?

Ich würde nicht von einer Integrierten Energiewende sprechen. Im Grunde geht es bei der Dekarbonisierung um eine weitgehende Elektrifizierung, weil wir nur so die erneuerbaren Energien Wind und Solar effizient einsetzen können. Derzeit ist Strom im Verhältnis zu den fossilen Energieträgern zu stark mit Abgaben, Umlagen und Steuern belastet. Das muss sich ändern, wenn die Politik ihre Klimaziele erreichen will. An uns liegt es nicht.

Vita

Dr. Holger Krawinkel war nach seiner Ausbildung zum Dipl. Ing. Stadt- und Regionalplanung an den Universitäten Gießen und Oldenburg insgesamt zehn Jahre in den Landesverwaltungen von Hessen und Schleswig-Holstein tätig und dort einerseits für die Durchführung von Raumordnungsverfahren für Hochspannungstrassen bzw. für kommunale und regionale Energieplanung zuständig.

Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der Biomassenutzung und der Wärmeplanung übernahm er zwischenzeitlich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Darmstädter Institut Wohnen und Umwelt mit mehreren Forschungsaufenthalten in Dänemark. Darauf aufbauend promoviert er 1991 über das dänische Energieplanungssystem.

Als Vorstand der von Land und Energiewirtschaft getragenen Energiestiftung Schleswig-Holstein war er zehn Jahre für zahlreiche Innovationsprojekte auf dem Gebiet der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energie verantwortlich und hat den Aufbau eines deutsch-dänischen Studiengangs für Energiemanagement an der Universität Flensburg vorangetrieben.

Anschließend wechselte er Anfang 2004 als Geschäftsbereichsleiter zum Bundesverband der Verbraucherzentralen nach Berlin und war dort für die Verbraucherpolitik in den Gebieten Energie und Verkehr zuständig.

Im Juli 2014 übernahm der die Leitung der neu geschaffenen Stabsabteilung Customer Experience bei MVV Energie in Mannheim, die zum 1. Januar 2015 um die Innovationsabteilung erweitert wurde.