

14. Mitteldeutsches Energiegespräch am 19. April 2018 in Leipzig
“Wir sollten in Deutschland möglichst viele saubere Technologien anbieten. Ich wünsche mir, dass Politik die Vielfalt wieder stärker in den Blick nimmt.” (13*)
TOUR D´HORIZON ZUM STAND DER ENERGIE-, WÄRME-, UND MOBILITÄTSWENDE ANHAND DER POLITISCHEN NOTWENDIGKEITEN DES KOALITIONSVERTRAGES/Interview mit Michael Wübbels, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VKU Verband Kommunaler Unternehmen
Das 14. Mitteldeutsche Energiegespräch unternimmt eine TOUR D´HORIZON ZUM STAND DER ENERGIE-, WÄRME-, UND MOBILITÄTSWENDE ANHAND DER POLITISCHEN NOTWENDIGKEITEN DES KOALITIONSVERTRAGES. Wie würden Sie bitte den gegenwärtigen Stand einschätzen?
Was müsste denn in den kommenden drei bis fünf Jahren oder in der noch verbleibenden gegenwärtigen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages parlamentarisch auf den Weg gebracht werden, um den Erfolg des Gesamtprojektes zu sichern, wenn man auf das 2-Grad-Ziel und die damit verbundene CO₂-Reduzierung schaut?
Bei der Stromwende in eine neue Energiewelt sind wir auf einem guten Weg. Mit dem Ausschreibungsmodell für erneuerbare Energien wurde – auch auf den Vorschlag des VKU hin – ein Modell eingeführt, das die Vergütung für erneuerbaren Strom wettbewerblich bestimmt. Nun gilt es, den neuen Ausbaupfad von 65 Prozent in Einklang mit Netzausbau und der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger voranzubringen.
Zudem braucht die Energiewirtschaft einen klaren und verlässlichen Rahmen, damit sie den konventionellen Kraftwerkspark umbauen kann. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist eine Chance, Klimaschutz und Versorgungssicherheit in einem gemeinsamen Konzept zu verbinden und die notwendigen Maßnahmen zu erhalten. Wichtig ist, dass alle betroffenen Akteure aus Ländern, Kommunen und Stadtwerken, Unternehmen und Gewerkschaften sowie Zivilgesellschaft beteiligt werden. Zu Recht würdigt die Koalition die Rolle der Stadtwerke bei der Transformation unseres Energiesystems.
Eine große Herausforderung ist die Wärmewende. Begrüßenswert ist deshalb, dass der Klimaschutztechnologie Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und den damit verbundenen Wärmeinfrastrukturen eine zentrale Rolle in der neuen Energiewelt zugewiesen wird. Mit dem konsequenten Ausbau der Wärmeinfrastrukturen schaffen Stadtwerke die Voraussetzungen für die Wärmewende, insbesondere in den Bestandsgebäuden der urbanen Ballungsräume.
Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Gasinfrastruktur. Sie ermöglicht heute schon klimaschonende Lösungen im Gebäude- und Verkehrsbereich und kann zukünftig vermehrt grünes Gas aufnehmen. Sie ist damit eine wichtige Infrastruktur für den Transformationsprozess.
Die aktuellen Veröffentlichungen zur Reduktion der Treibhausgase in Deutschland zeigen sehr eindrücklich, in welchen Sektoren noch Nachholbedarf besteht. Während die Emissionen der Energiewirtschaft um 4,1 Prozent gesunken sind, stiegen die Emissionen in Verkehr und Industrie.
Der Verkehrssektor sollte eine stärkere Verantwortung übernehmen. Zwar sind die einzelnen Fahrzeuge effizienter geworden, aber im Ergebnis nicht sparsamer. Der Trend zu größeren Fahrzeugen mit höherer Motorisierung hebt den Effizienzvorteil auf. Außerdem steigen neben den Fahrzeugkilometern für den Transportsektor auch die Pendlerzahlen seit Jahren kontinuierlich an. Da die Verkehrsleistung nach Auffassung vieler Experten insgesamt weiter zunehmen wird, muss – neben anderen Maßnahmen – vor allem die Energieversorgung des Verkehrs konsequent auf CO2– arme und -freie Quellen umgestellt werden.
Die Reform der Entgelte und Umlagen wird sicherlich auch in dieser Legislaturperiode stärker in die Diskussion rücken. Das zeichnet sich spürbar ab. Derzeit ist Strom so stark mit Entgelten und Umlagen belastet, dass kein Anreiz besteht, ihn in den Sektoren Wärme und Verkehr zu nutzen. Ich denke da beispielsweise an Wärmepumpen und Elektromobilität.
Ein Mix aus Instrumenten könnte nicht nur dazu beitragen, die Klimaziele in Wärme und Verkehr zu erreichen, sondern auch das gesamte Energiesystem flexibler zu gestalten und damit an vielen Stellen Kosten zu sparen.
Nun zeichnen sich, getrieben durch E.ON SE und RWE AG, gravierende Veränderungen in der Energielandschaft in Deutschland ab. Muss die Branche dadurch umdenken, ihre Konzepte ändern und neu ausrichten oder anpassen?
Wo sehen Sie die Chancen und die Risiken infolge des E.ON-RWE-Deals bei den kommunalen Versorgern? Sind insbesondere die Stadtwerke, für die im Markt und im technologischen Bereich stattfindenden gravierenden Umwälzungen gut gerüstet, um die Zukunft erfolgreich zu meistern?
Welche Auswirkungen hat das auf die Geschäftsmodelle?
Wir warten ab, welchen Fortgang die beabsichtigte Zusammenlegung und Neuorganisation von Geschäftsfeldern bei den beiden Unternehmen nimmt.
Mit Blick auf unsere Mitgliedunternehmen sehen wir die Stadtwerke für die nächsten Jahre gut gerüstet. Wir verstehen uns als Systemmanager für das gesamte Energiesystem und nicht allein für den Stromsektor, sondern auch für Wärme und Verkehr. Dieser Ansatz wird als Sektorkopplung beschrieben. Hier sind die Stadtwerke Experten. Sie können Strom, Wärme, Wasser, Abwasser, Abfall und Verkehr verbinden und intelligente Ver- und Entsorgungskonzepte entwickeln.
Durch ihre Verankerung vor Ort sind sie der natürliche Kooperationspartner und Energiedienstleister für die Kommune, die angesiedelte Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger.
Wie sollte man sich überhaupt als kleines, mittleres, ja auch großes Stadtwerk gegenüber der vielfach gepriesenen Technologieoffenheit bei der Nutzung neuer Technologien, beispielsweise der Blockchain-Technologie, verhalten: auf den “Zug aufspringen”, zurückhaltend beobachten und geeignete Experten zu Rate ziehen oder die Bestandssicherung des eigenen Kundengeschäfts zum Maßstab aller Dinge machen?
Stadtwerke schauen sich wie alle anderen Unternehmen der Energiewirtschaft nach neuen Geschäftsfeldern um, um weitere Dienstleistungen für Kunden anbieten zu können. Potenzial bietet sicherlich die viel diskutierte Blockchain-Technologie. Wie bei anderen Technologien und neuen Geschäftsmodellen auch müssen die Stadtwerke schauen, was zu ihnen passt und wie sie es umsetzen können.
Die Stadtwerke Wuppertal haben als weltweit erster kommunaler Energieversorger 2017 einen auf Blockchain-basierten Handelsplatz für Ökostrom gestartet. Einige andere Stadtwerke wiederum kooperieren mit Unternehmen oder anderen Stadtwerken und heben so Synergieeffekte. Die Stadtwerke Schwabach beispielsweise planen in Kooperation mit der N-ERGIE aus Nürnberg, gewerblichen Kunden Dienstleistungen zu Wärme, Kälte, dezentraler Stromerzeugung, Licht und Mobilität anzubieten. Zudem legen sie gemeinsam sogenannte Bürgerkraftwerke auf. Das sind Photovoltaik-Projekte, an denen sich Strom- und Gaskunden beteiligen können.
Politik, so heißt es, benötigt Macht, um zu gestalten, und Macht setzt auch im Energiebereich Fakten. Setzt Politik diese Gestaltungskraft stets zielführend ein, beispielsweise in der Digitalisierung oder bei Mobilität und Verkehr?
Ein Glasfaseranschluss in jedem Haus, sei es in der Stadt oder auf dem Land, ist das Infrastrukturziel für 2025. Kommunale Unternehmen stehen für den Glasfaserausbau. Schon heute versorgen sie nahezu sechs Millionen Kunden mit „Highspeed- Internet“. Die städtischen Unternehmen bringen so die Chancen der Digitalisierung in Stadt und Land.
Ein anderer Aspekt ist ebenfalls wichtig. Lassen Sie es mich plakativ ausdrücken: Digitalisierung ist weitaus mehr als nur das Verlegen von Kabeln. Die Koalitionsparteien wollen Deutschland zu einem führenden Digitalland entwickeln. Zentral ist dafür etwa eine digitale Verwaltung – sie kann Vorbild für weitere digitale Dienste sein. Die Koalition verspricht, die Daten der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Das ist wichtig. Wichtig ist aber auch, dass der Weg in die datenbasierte Wirtschaft und Geschäftsmodelle für alle offen steht. Der VKU setzt sich deswegen für ein Datengesetz ein, das neben Open Data auch kostenpflichtige Daten klassifiziert. Nicht alle Daten sollten zum Nulltarif bereitstehen, vor allem weil der Infrastrukturausbau hoher Investitionen bedarf. Auf dieser Grundlage können kommunale Unternehmen neue Angebote und Services entwickeln.
Was die Mobilität der Zukunft betrifft: Wir haben mit vielen Bürgermeistern gemeinsam Elektromobilität konzeptionell in die Städte gebracht. So waren es häufig Stadtwerke, die die ersten öffentlichen Ladesäulen errichtet haben. Viele städtische Betriebe haben schon früh Elektrofahrzeuge angeschafft. Natürlich könnte man sagen, zwei, drei Säulen und ein paar Autos, das bringt nicht viel. Aber jede Veränderung braucht einen Anfang. Und es braucht Vorreiter, die zeigen, dass es geht. Von den aktuell 9.033 bei der Bundesnetzagentur registrierten öffentlichen Ladesäulen wurden weit über die Hälfte von kommunalen Unternehmen aufgestellt. Elektromobilität ist auch nur eine von vielen möglichen Antworten. Wir haben noch mehr, wie beispielsweise Wasserstoff- oder Erdgasantriebstechnologie, auch für große Fahrzeuge. Gas wiederum kann auch „grün“ sein, indem man beispielsweise Windenergie in Wasserstoff oder Methan umwandelt. Wir sollten in Deutschland möglichst viele saubere Technologien anbieten. Es gibt eine breite Angebotspalette. Ich wünsche mir, dass Politik die Vielfalt wieder stärker in den Blick nimmt..
Gegenwärtig wird viel über die Blockchain-Technologie gesprochen, mitunter ohne genauere Vorstellungen und das entsprechende Basiswissen, meist im Sinne einer Schlüsseltechnologie, mit der viele Markteilnehmer zur selben Zeit die gleiche Information zur Verfügung gestellt bekommen. Sehen Sie für die Energiewende darin ein kluges Anwendungsgebiet und einen Erfolgstreiber?
Die Blockchain und die Frage, wie sie den Energiemarkt verändern wird, beschäftigt die Branche. Die Technologie ermöglicht die direkte Kommunikation zwischen Stromerzeugern und -verbrauchern ohne Intermediär. Sie hat das Potenzial, Transaktionen manipulationssicher, transparent und prozesseffizient abzuwickeln. Das könnte die Rolle aller Energieversorger im Wettbewerb völlig neu definieren. Wichtig ist es daher, die sich ergebenden Entwicklungen sehr genau zu beobachten, sich dieser Technologie zu nähern und zu nutzen, um damit mögliche neue Geschäftsmodelle zu testen.
Bedarf es auch künftig nationaler Player bei der Sicherung der Energieversorgung einer Volkswirtschaft oder kommt es infolge der stärkeren regionalen Antworten auf die Energiewende zu mehr Einfluss der sogenannten Graswurzelbewegung?
Die Struktur der neuen Energiewelt ist dezentral und auch die Stadtwerke sind dezentral über ganz Deutschland verteilt. Sie leisten ihren Beitrag zu einer sicheren Energieversorgung und geben heute die Antworten auf die dringenden Fragen von morgen. Ein Beispiel: Während im Jahr 2000 lediglich rund 30.000 Anlagen Strom aus erneuerbaren Energien ins Stromnetz einspeisten, sind es inzwischen rund 1,6 Millionen. Das heißt: Heute sind in Deutschland 50 Mal so viele Anlagen am Netz wie vor 17 Jahren, Tendenz: steigend. Heute werden rund 97 Prozent der erneuerbaren Energien in die Stromverteilnetze eingespeist. Diese sind zum großen Teil in den Händen der Stadtwerke. Und die Verteilnetzbetreiber entwickeln Lösungen, um Angebot und Nachfrage nach Strom bereits auf lokaler Ebene in Ausgleich zu bringen. Warum? Damit die Probleme nicht in die höher gelagerten Netzebenen gelangen und dort teuer gelöst werden müssen.
Beruflicher Werdegang
1969 – 1972
Ausbildung Sozialversicherungsfachangestellter, Bundesanstalt für Arbeit
1973 – 1977
Zeitsoldat
1977 – 1979
Landesversorgungsverwaltung NRW
1979 – 1985
Studium Sozialwissenschaften, Ruhr-Universität Bochum
1985 – 1986
Vorstandsassistent Klöckner Werke Bremen
1986 – 1989
Leiter Grundsatzreferat ÖTV-Hauptvorstand
1989 – 1994
Referatsleiter ÖTV-Verbindungsbüro
1994 – 2001
Leiter ÖTV-/ver.di-Verbindungsbüro
2002
Geschäftsführer VKU-Hauptstadtbüro seit 2003 Stellv. Hauptgeschäftsführer des VKU
Tätigkeitsschwerpunkte:
Leiter der Abteilung Energiewirtschaft mit Koordination der Themenbereiche:
- Energie-, Klimaschutz- und Umweltpolitik
- kommunale Infrastrukturwirtschaft im Verhältnis zur Kommunalpolitik und zur Privatwirtschaft
- Erzeugung ∙ Vertrieb/Handel/Beschaffung
- Netzwirtschaft
- Kontakte zu Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, Parteien und Verbänden
- Mitglied im Vorstand der CEDEC, dem europäischen Interessenverband der kommunalen Energiewirtschaft
(*In loser Folge bittet der Verlag Vi-Strategie unter der Rubrik AKTUELLES Experten, Zeitzeugen und Persönlichkeiten der Zeitgeschichte um Antwort zu allgemein-interessierenden Fragen.
Im 13. Interview (Sehen Sie bitte auch AKTUELLES vom 17.04.2018, Teil 1 und 2 sowie ff) gibt aus Anlass des 14. Mitteldeutschen Energiegespräches Michael Wübbels, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VKU Verband Kommunaler Unternehmen e. V., in einer TOUR D´HORIZON ZUM STAND DER ENERGIE-, WÄRME-, UND MOBILITÄTSWENDE ANHAND DER POLITISCHEN NOTWENDIGKEITEN DES KOALITIONSVERTRAGES Auskunft über Zukunftsszenarien in diesen Bereichen. NACHDRUCK OHNE GENEHMIGUNG NICHT GESTATTET.)