Vom kommunalen Einkaufspool zum deutschlandweiten Energiedienstleister

Dr. Steffen Rothe

20-jähriges Jubiläum der ENERGIEUNION GmbH, Schwerin

Vom kommunalen Einkaufspool zum deutschlandweiten Energiedienstleister (11*)

Interview mit Geschäftsführer Dr. Steffen Rothe/Jubiläumsfeier am 07. Juni 2018 in Schwerin

20 Jahre ENERGIEUNION – Wie sehen Sie die Entwicklung Ihres Unternehmens vom Händler zum Dienstleister in diesen zwei Jahrzehnten?

Als die ENERGIEUNION vor 20 Jahren gegründet wurde, begann zeitgleich eine neue sehr bedeutende Entwicklung ihren Lauf zu nehmen: Die Liberalisierung des Energiemarktes in Deutschland. So startete die ENERGIEUNION, neudeutsch als “Startup“ mit drei Mitarbeitern in einen bis dahin eher geschlossenen Insider-Markt.

Im Auftrag unserer damaligen Gesellschafter, drei ostdeutschen Stadtwerken und der Hamburger Kommunalfinanz GmbH, haben wir uns zunächst um die Verbesserung der Primärenergiekäufe von kommunalen Gaskraftwerken gekümmert. Diese Kraftwerke waren Mitte der 1990er Jahre Neuinvestitionen der Stadtwerke, und es galt, sie im sich liberalisierenden Energiemarkt trotz Lex VEAG und Überkapazitäten in der Stromproduktion in wirtschaftlichem Betrieb zu halten.

Wir bildeten 1998 den wohl ersten kommunalen Einkaufspool für Kraftwerksgas in Deutschland mit ca. 4,5 TWh und verbesserten deutlich den Primärenergieeinkauf. Das war der Beginn unserer Energie-Handelsaktivitäten.

Nach dem im Jahr 2000 erfolgten Gesellschafterwechsel, von der Kommunalfinanz GmbH zur norwegischen Hafslund ASA in Oslo, bauten wir mit deren Hilfe und Erfahrung unseren Stromhandel auf.
Mit dem erneuten Gesellschafterwechsel von Hafslund ASA zur niederländischen B.V. NUON in Amsterdam im Jahr 2002 bekamen wir ausreichend Handelsrahmen, dass wir sowohl unseren Stadtwerkegesellschaftern als auch anderen Stadtwerken und Einkaufsverbünden unser neu erworbenes Handelswissen und unsere Marktzugänge anbieten konnten. Dies war der Startschuss für unsere Handelsdienstleistungen wie Portfolio-, Risiko- und Bilanzkreismanagement und der Gründungsimpuls für unser BaFin-lizensiertes Tochterunternehmen EnergieFinanz GmbH, in welchem wir bis heute den gesamten Derivatehandel durchführen, das Treuhandvermögen unserer Kunden betreuen und die Handelsplattform für Strom und Erdgas betreiben.

Mit dem 2007 erfolgten Eigentümerwechsel von der B.V. NUON zur VNG – Verbundnetz Gas AG Leipzig konnten wir mit dem Aufbau des Gashandels und der Erweiterung der Dienstleistungen für das Gasgeschäft unserer Kunden beginnen.

Zu diesen überwiegend energiehandelsnahen Dienstleistungen bauten wir auf Wunsch unserer Portfoliomanagement-Kunden 2013 noch ein Energie-Service-Cloud-System auf, in welchem sie selbst als auch wir als Daten-Dienstleister sehr effizient den gesamten Energieliefer- und Abrechnungsprozess vom Zähler bis zum Bilanzkreis durchführen können.

In all den Jahren der Aufbauarbeit sind wir sehr gut damit gefahren, offen mit unseren Kunden unsere Energiemarkterfahrungen zu teilen und sehr gut zu zuhören, was genau ihr Problem ist, was sie von uns als Dienstleistendem erwarten und diese Dienstleistung dann schnell und vor allem effizient in unseren IT-Systemen umzusetzen.

Unsere Mitarbeiter arbeiten heute mit 135 Handelspartnern zusammen und betreuen täglich 54 verschiedene Gas- und Strom-Portfolien für Stadtwerke und Industriekunden. Zudem kümmern wir uns aktuell um mehr als 200.000 Zählpunkte im Liefer- und Abrechnungsprozess und, das möchte ich besonders betonen, alle diese Dienstleistungen erbringen nicht mehr als 20 hochengagierte Mitarbeiter im 24/7-Dienst.


Die ENERGIEUNION versteht sich als in der neuen Energiewelt als Energiedienstleister. Worauf gründet dies?

Nun, dieser Energiemarkt hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre enorm gewandelt. Da ich selbst viele Jahre Stromhändler war, möchte ich das beispielhaft am Strommarkt erläutern. Ich kann mich gut an den Sommer 2004 erinnern, in dem wir den Strom für den nächsten Tag in einem Bereich von 120 bis 200 EUR/MWh gehandelt und die hohen Peak-Preise für die betreuten GuD-Kraftwerke wesentlich das wirtschaftliche Überleben sichergestellt haben.

Heute kann es passieren, dass wir bei bestimmten Wetter- und Verbrauchslagen negative Strompreise bekommen und deshalb eine hohe Flexibilität im Kraftwerksbetrieb erforderlich ist.
Der Ausbau und Vorrang der EEG-Anlagen hat diese Entwicklung notwendig gemacht. Während wir vor 20 Jahren eine konventionell geprägte Stromproduktion aus Kernkraft, Kohle und Erdgas hatten, werden heute große Teile unseres Strombedarfs aus Windkraft, Solarenergie und Biogas gedeckt.
Es gibt heute reine Stromkunden aber auch eine wachsende Zahl von Verbrauchern, die eine eigene Solaranlage auf dem Dach haben und Strom für den Eigenbedarf produzieren oder ins Netz einspeisen. Der Strompreis für das Frontjahr war im Jahr 2000 bei ca. 20 EUR/MWh, erreichte 2008 86 EUR/MWh, im Jahr 2016 lag er wieder bei ca. 24 EUR/MWh und wird heute um 37 EUR/MWh gehandelt.

Und bei all diesen Preisbewegungen müssen unsere Stadtwerke- und Industriekunden ihre Produktions- und Verbrauchsportfolien profitabel führen, die Rentabilität ihrer Investitionen in neue Produktionsanlagen langfristig absichern, den rasant gewachsenen Datenbedarf für den Liefer-, Abrechnungs- und Berichtsprozess organisieren und die Neusetzung der politischen Rahmenbedingungen hin zur europäischen Energieunion im Auge behalten.

Da ist es sehr von Vorteil, wenn man sich auf spezialisierte Dienstleister wie unser Unternehmen verlassen kann, die mit ihrer langjährigen Erfahrung tagtäglich auf genau diese Problemstellungen fokussiert sind, die notwendigen Prozesse effizient managen und somit Risiken begrenzen bzw. Chancennutzung ermöglichen.


Kann Ihr Unternehmen bei den aktuellen Themen der Energiewende (Stichwort Sektor-Kopplung oder Speicherung oder Digitalisierung) einen Beitrag leisten?

Eindeutig ja. Die ENERGIEUNION ist ein 100%-Unternehmen der VNG-Gruppe, welche wiederum zum Unternehmensverbund der EnBW AG gehört. Somit können wir auf die jahrzehntelange Erfahrung der VNG AG in der europäischen Gaswirtschaft zurückgreifen und jederzeit ins Sparring der Ideen rund um die Energiewende mit unseren Kollegen in Leipzig und Karlsruhe gehen.

Wir als „kleines“ Unternehmen im Konzernverbund sind da mit unseren eigenen Börsen- und Brokerzugängen zum Gas- und Strommarkt, unserem Portfolio- und Risikomanagement –Systemen und unserem Energiedaten-Management aber ganz klar unabhängig gestellt.
Diese Unabhängigkeit des Agierens für unsere Kunden und unsere Weiterentwicklung als Dienstleister wird von unserem Gesellschafter sehr unterstützt.


Am 7. Juni 2018 laden Sie zu einer Jubiläumsveranstaltung nach Schwerin. Können Sie bitte schon ein wenig berichten, was die Besucher erwarten wird?

Zu unserer Jubiläumsveranstaltung haben wir unsere Kunden, Geschäftspartner und Gesellschafter eingeladen, die uns in den letzten 20 Jahren sehr gefördert aber auch sehr häufig herausgefordert haben. Ihnen möchten wir für ihre Unterstützung, ihre Ideen und jederzeitige Diskussionsbereitschaft Danke sagen.

Wir wollen aber nicht nur auf Vergangenes schauen, sondern auch über unseren Blick nach Vorn berichten. Wir sind Teil einer starken Konzerngruppe und wir haben strategische Ziele, wie wir unseren Beitrag zur Energiewende leisten, wie wir uns in neu entstehende Märkte hineinentwickeln und wie wir mit der Digitalisierung der Prozesse und der Arbeitswelt umgehen wollen.
Das sind Herausforderungen, wo wir gern unsere Lösungsvorschläge mit unseren Gästen diskutieren wollen. Besonders freue ich mich, dass wir mit unserem Energieminister in Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Christian Pegel, unserem Vorstandsvorsitzenden der VNG AG, Herrn Ulf Heitmüller und dem Leiter der Geschäftsentwicklung der EnBW AG, Herrn Manfred Haberzettel, im Energiewende-Prozess sehr engagierte Vortragende und Diskutanten für unsere Jubiläumsveranstaltung begeistern konnten.

Kurz-Vita

Geschäftsführer ENERGIEUNION GmbH
Allein-Geschäftsführer
seit Juli 2016

Geschäftsführer Handel, Vertrieb, Service, Technik
ENERGIEUNION GmbH
2012 – Juni 2016

Geschäftsführer
EnergieFinanz GmbH (BaFin-Lizensierte Wertpapierhandelsbank)
2008 – bis heute

Leiter Energiehandel / Prokurist ENERGIEUNION AG
2000 – 2012

Leiter Vertrieb / Prokurist ENERGIEUNION AG
1998 – 2000

Geschäftsführer FEUS Ingenieurprojekte GmbH & Co. KG
1996 – 2000

Wissenschaftlicher Leiter
Forschungszentrum Energie und Umwelt Schwerin e.V.
1994 – 1998

(*In loser Folge bittet der Verlag Vi-Strategie unter der Rubrik AKTUELLES Experten, Zeitzeugen und Persönlichkeiten der Zeitgeschichte um Antwort zu allgemein-interessierenden Fragen. Im 11. Interview (Sehen Sie bitte auch AKTUELLES vom 17.04. – Teil 1 – und 15.04.2018 ff) gibt aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums der Schweriner ENERGIEUNION GmbH deren Geschäftsführer Dr. Steffen Rothe Auskunft über Gründung und erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens. NACHDRUCK OHNE GENEHMIGUNG NICHT GESTATTET.)