Urbane Mobilität als neues Geschäftsfeld für Energieversorger
in Zeiten der Corona-Pandemie?
Jüngst veröffentlichte das Kompetenzzentrum für Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. der Universität Leipzig (KOWID) in Kooperation mit der InnoEnergy, den Leipziger Stadtwerken und dem Verband kommunaler Unternehmen e. V. eine Studie unter dem Titel und mit der Fragestellung “Urbane Mobilität als neues Geschäftsfeld für Energieversorger?”. Diese Studie ging aus den Ergebnissen einer Delphi-Befragung hervor, an der sich 33 Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Automobilindustrie, Verwaltung, Banken und Beratungsgesellschaften sowie Verbraucher- und Umweltverbänden beteiligten. Ferner wurden Energieversorgungsunternehmen schriftlich mittels eines geschlossenen Fragebogens befragt. Es beteiligten sich 31 Unternehmen an der Studie.
Die Erfurter Vi-Strategie GmbH, Veranstalter der Gesprächsreihe “Mitteldeutsches Energiegespräch” und Mitinitiator der Energiespeichermesse EAST Energy And Storage Technologies auf der Erfurter Messe, war durch Geschäftsführer Rainer Otto als Experte vertreten. Zusammengetragen, analysiert und ausgewertet wurden die Ergebnisse der Befragung durch ein Autorenteam der Universität Leipzig unter Federführung von Prorektor Prof. Dr. Thomas Lenk sowie KOWID-Vorstand Dr. Oliver Rottmann sowie Dipl.-Geogr./Dipl.-Ing. André Grüttner.
In einer 3-seitigen Zusammenfassung bilanziert die Delphi-Studie die zentralen Erkenntnisse und Trends urbaner Mobilität in einer smarten City. Ausgangsposition ist hierbei, dass die Energieversorgungsunternehmen zunehmend im Rahmen der Umsetzung der Energiewende unter wirtschaftlichen Druck geraten, da ihr bisheriges Kerngeschäft mit starken Erlös- und Gewinneinbußen einhergeht. Daher sind Energieversorger gezwungen, neue, innovative und vor allem gewinnbringende Geschäftsmodelle zu generieren. Diese neu zu erschließenden Geschäftsmodelle könnten laut Studie unter anderem im Rahmen der Elektromobilität gefunden und platziert werden.
Im Laufe der letzten Jahre ist das Mobilitäts- und Verkehrsaufkommen gestiegen. In diesem Zusammenhang haben sich aber auch die individuellen Mobilitätsbedürfnisse verändert. Als Beispiel nennen die Autoren hierbei den Ansatz, dass bei jungen Erwachsenen in den Ballungsräumen häufig “Nutzen vor Besitzen” steht. Dieses reine Nutzungsdenken befördert vor allem Mobilitätsangebote wie Sharing-Modelle oder neue Formen der Elektromobilität.
Im Fokus stehen für die Energieversorgungsunternehmen Geschäftsbereiche wie die Ladeinfrastruktur, Carsharing-Modelle, Contracting, Verkehrskonzepte, Sektorenkopplung und Kooperationspotenziale mit anderen Akteuren. Um diese Geschäftsbereiche wirtschaftlich erfolgreich betreiben zu können, sind laut der Studie Partnerschaften mit anderen Wirtschaftsunternehmen zwingend notwendig.
Grundsätzlich erscheinen diese potenziellen neuen Geschäftsmodelle als Chance der Erschließung neuer Märkte für Energieversorger. Jedoch sind sich die Experten der Delphi-Befragung einig, dass dieser Chance diverse Hemmnisse gegenüber stehen. Im Wesentlichen sind dies unternehmensinterne Hemmnisse (Unternehmenskultur, Prozesse, Ressourcen, Personal, Know-how), Kosten-Nutzen-Relationen respektive die Wirtschaftlichkeit neuer Geschäftsfelder und die ordnungspolitischen/rechtlichen Rahmenbedingungen.

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Um diesen nicht unbedeutenden Hemmnissen entgegenzuwirken, sollten vor allem Kooperationslösungen in den Vordergrund gerückt und als Ziel angestrebt werden. Als Kooperationspartner kommen für Energieversorger beispielsweise Hersteller von Ladestationen und Energiespeichersystemen, Wohnungsunternehmen, Mietfahrzeug- beziehungsweise Sharing-Anbieter, andere Energieversorgungsunternehmen, aber in größerem Umfang auch branchenspezifische Start-Ups, Verkehrs- und IT-Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen besonders in Frage.
In der Zusammenfassung wird resümiert, dass die urbane Mobilität – insbesondere die Elektromobilität – trotz aller Hemmnisse als Chance angesehen werden kann, neue Mobilitätsansätze voranzutreiben und zu befördern, die für Energieversorgungsunternehmen als neue Geschäftsmodelle etabliert werden können. Ob dies allerdings ausreichend ist, um die Mobilitätswende mit der Elektromobilität als einen wesentlichen Baustein und die zunehmenden, individuellen Mobilitätsbedürfnisse zu erreichen, bleibt laut Einschätzung der Autoren abzuwarten.
Die gesamte Delphi-Befragung und Veröffentlichung der Studienergebnisse erfolgten in der Zeit vor der Corona-Pandemie. Somit konnten die Auswirkungen der Corona-Krise nicht berücksichtigt werden. Allerdings sind auch die zuvor genannten Geschäftsbereiche von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Die Verkehrsstraßen waren während des Lockdown nahezu autofrei, bedingt durch Ausgangsverbote und Arbeit im Homeoffice. Dadurch sind auch Carsharing-Modelle derzeit nicht besonders attraktiv für Nutzer. Hinzu tritt die Frage, inwieweit die Carsharing-Anbieter die neuen Hygienestandards umsetzen können. Private als auch geliehene Personenkraftwagen werden tendenziell eher stehen gelassen. Aber auch der Öffentliche Personennahverkehr erlebt derzeit Millionenverluste, bedingt durch Ausgangssperren, Abstandregelungen und der Angst vor Ansteckungen. Viele Menschen sind daher auf das Fahrrad als risikoärmeres Verkehrsmittel umgestiegen. Auch spielen hierbei das fast sommerliche Wetter und der stetige Ausbau von Radfahrstreifen in Großstädten eine Rolle. Es zeigt sich somit, dass sich die urbane Mobilität innerhalb der Krise noch einmal verändert hat. Dadurch ist es aktuell für Energieversorgungsunternehmen noch schwerer, die angestrebten neuen Geschäftsmodelle im Bereich der Mobilität zu etablieren.
Es gilt somit zu konstatieren, dass die Energieversorgungsunternehmen in ihrem möglichen Geschäftsbereich Mobilität bereits vor der Corona-Pandemie vor großen Herausforderungen im Hinblick auf die notwendige Erschließung neuer Geschäftsmodelle standen. Die Corona-Pandemie ist nunmehr als zusätzliches Problemfeld hinzugekommen, da sich die individuellen Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung erneut verändert haben.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur gezeigt, wie sehr eine solche Krise das gesamte Wirtschaftsgefüge eines Landes zu gefährden vermag, sie zeigt auch, wie wichtig das Vorantreiben der Digitalisierung (in diesem Zusammenhang vor allem des Breitbandausbaus) und das smarter Lösungen, unter anderem eben auch im Mobilitätsbereich, ist. Energieversorgungsunternehmen sind daher gut beraten, künftig besonderen Wert auf nachhaltige Geschäftsmodelle mit einem gesellschaftsrelevanten Ansatz zu legen.
AS
Die Studie “Urbane Mobilität als neues Geschäftsfeld für Energieversorger?” finden Sie HIER.