„Ich fühle mich überall wohl, wo ich die Sprache und Kultur kenne und teile.“

ERFURT KONKRET:

“Ich fühle mich überall wohl, wo ich die Sprache und Kultur kenne und teile.”

INTERVIEW MIT DR. MARC SAGNOL, LEITER DES FRANZÖSISCHEN KULTURBÜROS IN DER THÜRINGER STAATSKANZLEI, ÜBER SEINE ARBEIT, DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE FREUNDSCHAFT, DIE EUOPAWAHL UND SEIN HEIMATGEFÜHL

Dr. Marc Sagnol. Foto: Natalia Bogdanovska

Herr Dr. Sagnol herzlichen Dank, dass wir heute Gelegenheit haben miteinander ein Interview zu führen. Vor über einem Jahr haben wir, aus meiner Sicht mit sehr viel Freude, auch über dieses Haus Dacheröden, wo wir uns heute befinden, gesprochen und führten eine Diskussion, die europäischer Natur war. Sie sind Leiter des französischen Kulturbüros hier in der Thüringer Staatskanzlei, also für das deutsche Bundesland Thüringen. Wie sehen Sie Ihre Rolle? Wie werten oder würdigen Sie Ihre Arbeit? Wie lange machen Sie das schon?

Also zuerst möchte ich betonen, dass der Ursprung dieses Kulturbüros im Haus Dacheröden liegt. Hier wurde 1991 ein Büro mit dem Namen „Bureau d’Action Culturelle et Linguistique“ von der französischen Botschaft gegründet, unter der Leitung von Viviane Haehnel, an die sich viele gern erinnern. Es fanden viele Veranstaltungen statt. Ab 2001 kam es aufgrund von guten Beziehungen zum Land Thüringen zu einer Umwandlung dieses Büros, das in die Staatskanzlei gekommen ist, wobei meine Vorgänger und ich im Rahmen einer Kooperation als Berater für deutsch-französische Beziehungen insbesondere die Partnerbeziehungen von Thüringen mit der Region Picardie, jetzt Hauts-de-France, unterstützen. Also ein Teil meiner Arbeit gilt der Verbreitung französischer Kultur in Thüringen, ein anderer Teil der Unterstützung der Regionalpartnerschaft.

Ich bin mittlerweile das vierte Jahr in dieser Position und ich glaube, dass diese Stelle eine gewisse Resonanz erzeugt. Wir organisieren viele Veranstaltungen und sind in Thüringen bekannt.

Ich mag meine Arbeit, sei es als Berater oder als Initiator zur Verbreitung der französischen Kultur durch Lesungen von Schriftstellern, Beteiligungen an Festivals, mit im Kino laufenden französischen Filmwochen – für Jugendliche auch hier zum Beispiel Cinéfête im März und  April 2019 in Weimar, Jena und Gera – sowie alle möglichen Ausstellungen.

Ausstellung von Evgen Bavčar auf Schloss Ettersburg 2019

Wir haben beispielsweise auf Schloss Ettersburg bisher schon zwei sehr gute Ausstellungen veranstaltet. 2018 fand dort eine Ausstellung von Colette Deblé, die übrigens aus der Picardie stammt, statt. Sie malt Aquarell- und Tuschzeichnungen von Frauen aus Weimars Vergangenheit als Hommage. Sie kommt am 15. Juni wieder nach Thüringen, mit einer Ausstellung in Eisenach. Ebenfalls sehr gut war auch die Ausstellung von Evgen Bavčar, Anfang des Jahres. Er ist ein blinder Fotograf, Philosoph und Schriftsteller. Zusammenfassend gesagt, denke ich, dass wir ein bisschen Erfolg haben.

Sie sprachen von gewisser Resonanz, kann man diese in irgendeiner Art und Weise messen?

Ich messe Resonanz vor allem daran, wie viele Leute zu den Veranstaltungen kommen. Weiterhin gibt es Leute, die von uns gehört haben, allerdings nie bei unseren Veranstaltungen waren. Dennoch haben sie von uns gehört. Im Haus Dacheröden, welchem wir stets treu geblieben sind, veranstalten wir beispielsweise gemeinsam mit der Erfurter Herbstlese, sprich Frau Rettich und ihrer Mannschaft, den Salon français.

Zu literarischen Themen?

Ja, mit französischen Autoren. Im Salon français waren beispielsweise die Schriftsteller Philippe Forest, Olivier Rolin, Wilfried N’Sondé, Albena Dimitrova (bulgarischer Herkunft), Doan Bui (vietnamesischer Herkunft), Pascal Manoukian (armenischer Herkunft), Jean-Pierre Siméon. Aber auch Cédric Gras. Seine Veranstaltung  war sehr gut. Er hat über Russland gesprochen. Oft machen wir Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Universität Jena, oder mit der Stadt Weimar, wie vor kurzem mit Eric Vuillard. Unsere nächste Literaturveranstaltung findet am 25. 5. um 15 Uhr in Weimar statt, genauer gesagt im Schloss Kromsdorf bei Weimar, im Rahmen des Salon Stéphane Hessel. Da laden wir den Schriftsteller Gaston-Paul Effa ein, der aus seinem Buch über Raphaël Elizé lesen wird. Raphaël Elizé, geboren in La Martinique, war der erste schwarze Bürgermeister einer französischen Stadt, Sablé-sur-Sarthe, bei Le Mans. 1944 wurde er verhaftet und nach Buchenwald deportiert, wo er im Februar 1945 umgekommen ist. Das ist auch eine Hommage an diese Persönlichkeit. Zu unserem nächsten Salon français im Haus Dacheröden am 28. Juni laden wir den Dichter Jean-Louis Giovannoni ein. Sie sind herzlich eingeladen.

Dies sind stets kleine und feine Leckerbissen die Sie organisieren, darüber freut sich sicherlich die „Kultgemeinde“ und nimmt auch gern daran teil. Wenn wir jetzt einmal auf Thüringen schauen, kann man da sagen, dass die deutsch-französische Freundschaft fest verankert ist?  

Im Osten Deutschlands ist die deutsch-französische Freundschaft gewiss nicht so stark verankert, wie in den westlichen Teilen Deutschlands. Aber trotzdem gab es die deutsch-französische Freundschaft schon und es gibt ebenfalls viele deutsch-französische Verbindungen, die zum Teil noch aus der Zeit der DDR stammen, wie beispielsweise einige Städtepartnerschaften. Dennoch sind natürlich die meisten Städtepartnerschaften nach der Wende entstanden. Es gab gleich nach der Wende ein großes Interesse an Frankreich. Das sieht man unter anderem an der Aktivität der Deutsch-Französischen Gesellschaften in Weimar und in Jena, und am relativ guten Niveau des Französisch-Unterrichts.

Also, im Grunde genommen, gibt es diesen Resonanzboden und auch die deutsch-französische Freundschaft in diesen Breiten?

Für mich ist es erstaunlich, dass Französisch die zweitwichtigste Fremdsprache in Thüringen ist. Natürlich ist Englisch auf dem ersten Platz, aber Französisch kommt vor Spanisch und Russisch. Es gibt mittlerweile viele Gymnasien, an denen Französisch unterrichtet wird. Drei Gymnasien in Thüringen bieten das Abibac, das deutsch-französische Abitur, an. Weiterhin gibt es viele Schulen wo Französisch gelehrt wird. Vor zwei Jahren hatten wir den Dichter Jean-Pierre Siméon, den Direktor des Printemps des poètes – führendes Dichterfestival aus Paris -, eingeladen und er hat in mehreren Schulen einen Vortrag in Französisch ohne Übersetzung gehalten. Es hat mich sehr fasziniert, dass die Schülerinnen und Schüler mit ihm problemlos Gespräche geführt haben. Auch die französische Botschafterin, Frau Anne-Marie Descôtes, hat sich hier in Erfurt im Heinrich-Mann-Gymnasium mit den Schülern auf Französisch unterhalten. Sie erinnert sich gern daran. Und sie kommt gern nach Thüringen. Am 23.5. hält Frau Descôtes einen öffentlichen Vortrag mit Diskussion im Thüringer Landtag über „Deutsch-französische Beziehungen heute“ im Rahmen der Ringvorlesung „Demokratie am Scheideweg“. Das ist eine Kooperation mit der Universität Erfurt. Ich freue mich, wenn viele zu dieser Ringvorlesung kommen.

Man kann somit festhalten, dass es nicht nur in der Politik eine deutsch-französische Achse gibt,  sondern diese auch durch die Nachhaltigkeit in der ostdeutschen Bevölkerung unterfüttert ist. Vergangenen Sonntag feierten wir 70 Jahre Europarat. Bis auf Weißrussland sind alle Länder noch im Europarat vertreten, allerdings gibt es Probleme mit Russland. Derzeit gibt es Probleme wegen der Krim und daher ist Russland von der Mitgliedschaft im Europarat suspendiert. Wie wichtig ist für uns dieses europäische Haus? Sprich, wie wichtig ist es für uns, dass wir das Gemeinsame erhalten und was kann man so zum Beispiel auch in Thüringen tun, damit dies erhalten bleibt?

Die Kooperation mit Russland ist wichtig, trotz aller Probleme. Und überhaupt mit unseren östlichen Nachbarn, ich denke insbesondere an Polen.

Ich war letzten Samstag beim Europafest in Suhl. Dort fand ein Konzert des „Weimarer Dreieckchens“ statt, mit Kindern aus Frankreich (Picardie), Deutschland (Thüringen) und Polen (Malopolska, die Gegend um Krakau), die in drei Sprachen gesungen haben. Dieses stellt eine Kooperation zwischen den drei Ländern des „Weimarer Dreiecks“ in ihrer Zivilgesellschaft dar. Viele Veranstaltungen werden hierbei gepflegt und organisiert.

Beispiele wie diese zeigen, dass wir alle eine Empathie für Europa haben und miteinander sehr stark kulturell verwoben sind. Was müssen wir, Ihrer Meinung nach, gemeinsam tun, damit Europa eine Zukunft hat?

Man muss unbedingt dazu aufrufen, wählen zu gehen, weil es wichtig ist.

Dies scheint bereits mehr zu werden. Zumindest zeigt eine Umfrage Thüringens, dass 10% mehr Wahlbeteiligung innerhalb der Bevölkerung vorhanden ist.

Ja, aber in Frankreich ist dies leider nicht der Fall. Es gibt kein wachsendes sondern eher ein abnehmendes Interesse an der Wahlbeteiligung, insbesondere was die Europawahl betrifft. Dies ist sehr schade, weil Wählen eine bürgerliche Pflicht, sprich eine Bürgerpflicht ist. Außerdem wählen viele Bürger doch nach innerpolitischen Kriterien, obwohl das eine Europawahl ist.

Das stimmt. Es gibt eine spannende These, die sagt „Die Implosion der parteilichen Strukturen, auch in Frankreich, wodurch keine festgefügten Parteien sondern mehr Vereinigungen den politischen Willen tragen, führt dazu, dass man schnell einen anderen Geist in den Vereinigungen hat“. Könnte dies auch eine Erklärung dafür sein, dass weniger Wahlwillen existiert oder erklärt es die Unzufriedenheit dieses Unterfangens?

Einerseits haben Sie sicherlich Recht, es gibt in Frankreich – aber nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern – absinkendes Interesse, sogar fast eine Zerstörung bzw. Zersplitterung der alten Parteien.

Ausstellung von Colette Deblé auf Schloss Ettersburg 2018

Aber es kommen auch neue Bewegungen hinzu, die es früher nicht gab. Macron zum Beispiel ist eine „Erscheinung“ die vor 3 Jahren nicht abzusehen war.

Kann dies dazu führen, dass man dann als Wahlbürger eher beliebig wählt oder keine Lust mehr hat?

Die Zerstörung der ehemaligen traditionellen Parteien und ein gewisses Desinteresse an der Wahl und somit der offiziellen Politik können tatsächlich dazu führen.

In Deutschland ist es ähnlich. Zum Schluss die Frage nach der Heimat. Keine Zukunft ohne Herkunft, kein einheitliches Europa ohne eine Sicht auf das eigene Sein und Herkommen. Können Sie mal knapp umschreiben, was für sie Heimat ist?

Heimat ist ein schwieriges Thema. Natürlich ist meine Heimat ganz eindeutig Frankreich. Dort  habe ich meine Kindheit und einen Teil meines Erwachsenenlebens verbracht. Ich habe dort auch noch immer meine Wohnung. Ich habe aber auch in Deutschland, Polen, der Ukraine und Russland gelebt. Somit bin ich ein Europäer. Ich fühle mich überall wohl, wo ich die Sprache und die Kultur kenne und teile.

Monsieur Sagnol merci beaucoup!

Vita
Geboren am 23.6.1956 in Lyon
Verheiratet seit 2001 mit Natalia Bogdanovska, Journalistin & Kamerafrau
Schulausbildung in Lyon (Lycée Ampère)

Universitätsausbildung:

1973-1975
Germanistik und Philosophie in Lyon
1975-1980
Ecole Normale Supérieure de Saint-Cloud, Abschluss mit der Agrégation d’allemand 1979
1980-1982
Französisch-Lektor an der Freien Universität Berlin
1982-1984
Forschungsstudent an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences sociales (EHESS) Paris, Abschluss mit der Dissertation über Walter Benjamin

Beruflicher Werdegang:

1984-1990
Freier Übersetzer und freier Wissenschaftler in Paris & Berlin
1990-1996
Direktor des Institut Français in Dresden
1996-2000
Direktor des Institut Français in Kiew
2000-2004
Freier Übersetzer und freier Wissenschaftler in Paris & Berlin
2004-2007
Französischer Kulturbeauftragter in Magdeburg für Sachsen-Anhalt
2007-2010
Kulturattaché an der französischen Botschaft in Moskau
2010-2015
Deutsch-Lehrer in Paris
Seit Sept. 2015
Leiter des französischen Kulturbüros in Erfurt für das Land Thüringen

Dr. Marc Sagnol in seinem Büro in der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt. Foto: Alexia Allart