Interview mit dem Weimarer Künstler Wolf Bertram Becker:
„Aber die Kunst in all ihren Facetten wird auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens sein.“

Wolf Bertram Becker in seinem Atelier. Fotos: Lux Becker
„Ohne Weimar ist die Geschichte der deutschen Kultur nicht denkbar“, sagte einst Altbundespräsident Roman Herzog, über die facettenreiche Stadt mit großer Vergangenheit. Hier lebt und arbeitet der Maler Wolf Bertram Becker.
Wolf Bertram Beckers Werk, in zahlreichen in- und ausländischen Ausstellungen sowie Museen vertreten, ist, wie es in einem seiner Kataloge heißt, „vielschichtig und konzentriert zugleich, es spiegelt eine sehr enge Wahrnehmung der Wirklichkeit und eine besondere Art, die ganz persönlichen Empfindungen damit zu verbinden.“
AKTUELLES hat die Zeit der Veränderungen genutzt, um mit Wolf Bertram Becker darüber zu sprechen, wie es ihm und seiner Stadt derzeit ergeht.
Lieber Wolf, die aktuelle Situation hat unser gesellschaftliches Leben vollständig verändert. Wie nimmst Du dies derzeit wahr, wie geht es dir dabei?
Wir leben im Ausnahmezustand. Keiner von uns hat etwas Vergleichbares erlebt und sich wahrscheinlich auch nicht vorstellen können. Die weltweiten Auswirkungen sind beunruhigend. Wir sind auf der einen Seite Zuschauer der Corona-Tragödie, auf der anderen Seite Akteure, die sich an unglaublich rigide Regieanweisungen zu halten haben. Wenn Grundrechte ausgesetzt werden, ist die Lage bedrohlich. Ich fühle mich nicht wohl dabei.
Stichwort Kulturstadt Weimar. Wieviel Kultur kann man in Weimar in diesen Zeiten erleben?
Ganz langsam regt sich wieder Leben. Seit Mitte März waren alle Museen und Ausstellungen geschlossen, ebenso Kinos, Theater, Galerien. Weimar machte da gegenüber anderen Städten keine Ausnahme. Das ganze kulturelle Leben mit seinen feinen Verästelungen kam zunächst beinahe vollständig zum Erliegen. Es war eine Art Schockstarre.
Später erschienen Online-Angebote im Kunstbereich, virtuelle Führungen durch Ausstellungen und Galerien, die mit viel Aufwand erstellt werden, aber doch eben nur einen ungefähren Eindruck geben können.
Unsere reale Welt lässt sich nicht 1:1 digitalisieren. Gott sei Dank! Also ist ihr Verlust schmerzhaft.
Ab Anfang Mai öffnen nun wieder die ersten Museen und Ausstellungen.
Seit der Eröffnung vor gut einem Jahr haben fast 300.000 Menschen das Bauhaus-Museum Weimar besucht und nun der Lockdown. Wie schätzt Du die Auswirkungen auf die Weimarer Museen, Theater, ja auf die gesamte Kultur- und Kunstszene ein?
Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist noch gar nicht absehbar. Weimar ohne seine kulturelle Vielfalt ist ein Schatten seiner selbst. Welche entstandenen finanziellen Verluste durch Landes- bzw. Bundesmittel möglicherweise kompensiert werden können, ist im Augenblick unklar. Aber Weimar hat eine aktive Kunstszene und es wird viele kleine und große Angebote und Aktivitäten geben.
Gibt es in Weimar Überlegungen, wie man aus der Stadt heraus den Kulturbetrieb wieder hochfahren kann, wie man insbesondere die Weimarer Kleinkunstszene vor einem massiven “Austrocknen” bewahren kann?
Leider bietet der städtische Haushalt kaum finanziellen Spielraum. Möglicherweise kann die Stadt als Vermieterin manche Akteure durch Mietnachlässe unterstützen. Ich hoffe sehr, dass es pragmatische Lösungen geben wird. Auch bürgerliches Engagement wird helfen können, ich bin mir da sicher.
Du bist ein sehr bekannter Maler, welchen Einfluss hat die aktuelle Situation auf deine Arbeit und die zahlreichen Künstler-Kollegen?
Zunächst einmal geht die künstlerische Arbeit weiter. Ein bildender Künstler, der freiberuflich arbeitet, weiß nie, was er im nächsten Monat verdient. Das ist eine gewisse Last, und der Außenstehende wird sagen, es sei selbstgewähltes Leid. Und das ist nicht einmal falsch. Es kann immer magere Monate geben. Dass allerdings so viele Berufsgruppen zeitgleich betroffen sind, ist ungewöhnlich. Die freiberuflichen Musiker und Schauspieler sind besonders hart betroffen.

Die Frage ist natürlich, wie es weitergeht, wie lange der Ausnahmezustand anhält, wie stark die wirtschaftliche Abwärtsspirale sein wird. Aber die Kunst in all ihren Facetten wird auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens sein.
Wie lenkst du dich zurzeit ab?
Ich habe nicht das Gefühl, mich ablenken zu müssen. Ich mache das, was ich immer mache. Morgens einen Lauf, ca. 5 bis 10 Kilometer um meinen Kopf frei zu bekommen, meine Gedanken zu ordnen und meinen Körper zu spüren. Ich habe aufgehört, Corona-Statistiken zu lesen, fühle mich aber dennoch gut informiert.
Du bist Vater von drei Kindern. Wie sieht euer Alltag aktuell aus?
Wir schlafen etwas länger. 9 Uhr Schulbeginn soll ja für Kinder viele Vorteile haben. Diese Chance haben wir mit dem Homeschooling! Was für ein Wort! Im Ganzen aber recht erfolgreich. Als Familie verbringen wir mehr Zeit gemeinsam als sonst, das ist natürlich eine sehr schöne Facette dieser ungewöhnlichen Zeit. Und nach wie vor gehe ich ins Atelier und habe mir damit einen Teil der Normalität bewahren können.
Viele Menschen stehen durch den Lockdown vor zahlreichen neuen Herausforderungen, wie ist es bei Dir?
Die größte Herausforderung ist mit Sicherheit, die Kinder einigermaßen gut durch diese Zeit zu navigieren. Für sie ist die ganze Situation eine ungeheure Belastung.
Deine Bilder entstehen oft aus Eindrücken von Auslandsreisen. Malst du nun aus deiner Erinnerung oder wird deine Kunst jetzt von anderen Eindrücken geprägt?
Ich habe Mappen voller Skizzen, Reisetagebücher, Studien, Zeichnungen, Fotos. Und viele, viele Ideen. Es ist ein ungeheurer Fundus, aus dem ich jahrelang schöpfen könnte. Die aktuelle Durststrecke lässt sich also gut überstehen…
Woran arbeitest du aktuell?
Ich arbeite im Augenblick an Walddarstellungen und an Darstellungen von Reflexionen. Daneben habe ich begonnen, einige Bilder zu überarbeiten. Das orangene Venedigbild ist eines dieser Bilder, entsprechend auch die Signatur 2017/20.
Es gibt Bilder, die in meinen Augen nicht vollendet waren. Ich kann nicht beschreiben, woran ich festmache, dass ein Bild vollendet ist. Es existiert keine Gleichung, die sich mathematisch lösen lässt. Es ist eher Intuition, etwas Magisches.
Gibt es derzeit Projekte, die du trotz allem realisieren kannst?
Natürlich. Ich arbeite zum Beispiel an einer Grafik, in diesem Fall einem Holzschnitt, den der Förderverein eines Erfurter Gymnasiums seinen Abiturienten mit auf den Lebensweg gibt. Sie machen das seit vielen Jahren und ich bin sehr froh, dass es solche wunderbaren Traditionen gibt.
Wie gestaltet sich der Kontakt zu deinen Käufern und Kunstliebhabern, welche Unterstützung wäre denkbar?
Es ist ruhiger als sonst. Es herrscht eine Art Dornröschenschlaf und eine gewisse Ratlosigkeit. Atelierbesuche sind im Augenblick selten. Wenn meine Kinder nicht in die Schule gehen dürfen, wenn Läden geschlossen bleiben, wenn die Galerie geschlossen bleibt, fragt man sich natürlich, ob der Besuch beim Künstler möglich ist? Er ist natürlich möglich. Außerdem gibt es das Telefon und das Internet.
Welche Botschaft würdest du gern potentiellen Käufern übermitteln?
Großartig ist, wenn sich Käufer gerade jetzt zum Kauf eines Kunstwerkes, ihres Favoriten, entscheiden. Oft gibt es ja ein Bild, eine Plastik, die man irgendwann kaufen möchte … Es klingt paradox, dass der Zeitpunkt gerade jetzt sein soll, wo doch die ganze Wirtschaft von einem Abwärtsstrudel erfasst zu sein scheint. Aber es ist eben auch eine ungewöhnliche Zeit, und auch die Künstler möchten vom Verkauf ihrer Kunst leben. Vor diesem Hintergrund ist es möglicherweise auch die Zeit ungewöhnlicher Preisnachlässe …
Lieber Wolf, vielen lieben Dank für dieses Interview und dir und deiner Familie auch weiterhin alles Gute.
AS

Mehr über Wolf Bertram Becker und die Klassikerstadt Weimar vermittelt der Film der Galerie Vi-Strategie www.youtube.com.
Dieser Film entstand im Atelier des Künstlers und an verschiedenen wunderbaren Orten in Weimar.
Weiterhin finden Sie unter www.verlag-vi-strategie/wolf-bertram-becker eine Auswahl von Wolf Bertram Beckers Werken, die über den Verlag Vi-Strategie zu erwerben sind.