Wenn die Menschen nicht freiwillig in den Spiegel schauen, dann muss er ihnen entgegengehalten werden.

ERFURT KONKRET:

“Wenn die Menschen nicht freiwillig in den Spiegel schauen, dann muss er ihnen entgegengehalten werden.”

40 Jahre Kabarett “Die Arche” – Festwochenende vom 06. bis 08. September 2019/ AKTUELLES-Interview mit Harald Richter,
Geschäftsführer und künstlerischer Leiter

Harald Richter. Foto: Lutz Edelhoff

Harald, wunderbar, dass wir heute Gelegenheit haben, miteinander dieses Interview zu führen, hier am Spielort des Kabaretts “DIE ARCHE“. Du bist hier Geschäftsführer, aber auch anderweitig, beispielsweise als Regisseur tätig. 40 Jahre “DIE ARCHE“, wie steht es um das Kabarett in Erfurt?

Das Kabarett gibt es noch, das ist die gute Nachricht vorweg.

Was mich ebenfalls sehr freut ist, dass wir dieses Jubiläum 40 Jahre jetzt auch sehr groß aufziehen konnten. Mit einem Neujahrsempfang, mit Höhepunkten jeden Monat, bei denen wir Sonderformate auf die Bühne gebracht haben und jetzt mit unserem Festwochenende vom 6. bis 8. September 2019.

Das Tolle daran ist, dass wir sehr viele Rückmeldungen erhalten, und daran merke ich auch eine Wertschätzung in der Öffentlichkeit. Sprich, dass die Medien mitmachen, dass der OB zur langen Nacht des Kabaretts kommt und der Ministerpräsident am Sonntag zu unserem Abend mit der Nerly-Bigband.

Das Wichtigere ist aber, dass wir nach wie vor regelmäßig Publikum hier haben und dass die Leute weiterhin in unser Haus kommen, in Zeiten wo Politik vor allem hier im Osten die Menschen so massiv spaltet. Noch vor 10 Jahren ist das einfacher gewesen als jetzt.

Braucht Kabarett Wertschätzung heutzutage oder braucht es generell Wertschätzung? Ist Kabarett heute notwendig?

Bevölkerung zu spiegeln, Menschen zu spiegeln, Schalk, Spaßmacher oder Spiegel einer Nation zu sein, das ist meines Erachtens nach immer nötig. Wenn die Menschen nicht freiwillig in den Spiegel schauen, dann muss er ihnen entgegengehalten werden.

Darüber hinaus kommt unser Publikum grundsätzlich auch gern, um einfach mal abzulachen. Lachen ist als Vorgang einfach auch etwas, was entkrampft und den Kopf frei macht. Insofern brauchen wir es grundsätzlich immer noch und immer wieder.

Wertschätzung wiederum braucht es auch, wenn ich Kultur in einer Stadt betreibe. Jede Art von Kultur, die in Erfurt betrieben wird, braucht Wertschätzung, weil man dann das Gefühl hat, dass es Sinn macht, dass wir hier sind.

Wertschätzung heißt somit nicht nur finanzielle Bereitstellung, sondern auch, dass man als Bestandteil der Stadtgesellschaft gesehen und wahrgenommen wird. Kann man es so vielleicht zusammenfassen?

Ja. 

Abzulachen im Sinne eines Ventils, sprich dass Dampf aus dem Kessel kommt oder dass man sich einfach wohlfühlt?

Es beinhaltet Beides. Dampf ablassen als Ventilfunktion ist sicherlich nach wie vor auch eine Funktion von Kabarett. Ebenso, dass bestimmte Statements abgegeben werden, die sich die Menschen vielleicht nicht trauen würden in dieser Art zu äußern oder wo sie einfach „Ja, richtig!“ sagen bzw. denken. Das ist der eine Effekt.

Der andere Effekt ist, einfach mal Loslassen zu können. Sich durch Höhen und Tiefen von Politik sowie Gesellschaft führen zu lassen und dabei natürlich herzhaft zu lachen, weil etwas lächerlich gemacht oder auf die Schippe genommen wird.

Dann nutze ich die Gelegenheit und gratuliere zu 40 Jahre “DIE ARCHE“. Erfolgreich, dass sieht und hört man auch.

Wie lange machst du jetzt schon bei “DIE ARCHE“ mit?

Ich bin im Jahr 2000 dazu gekommen. Somit bin ich jetzt seit 19 Jahren dabei. Ich habe also knapp die Hälfte der Zeit und auch des Erfolgs mitgestaltet und miterlebt.

Du bist aber auch noch in anderen kulturellen Bereichen tätig. Was machst du, vielleicht mal kurz illustriert, darüber hinaus noch?

Ich bin von Beruf eigentlich Regisseur. Das Management mache ich auch, aber das ist nur eine Seite.

Die andere Seite ist die Künstlerische. Ich bin von Haus aus Schauspielregisseur und habe mich inzwischen auch auf Puppentheater und Kabarett spezialisiert.

Ich mache aber nach wie vor auch große Schauspielinszenierungen, wenn es sich ergibt.

In Erfurt gibt es den Erfurter Theatersommer e.V. Das ist eine Künstlervereinigung von mehreren Kollegen und da bin ich seit vielen Jahren sehr aktiv als Regisseur. Wir beleben die Stadt Jahr für Jahr mit mehreren Neuinszenierungen vor allem im Sommer, aber auch im Winter. Dann gibt es noch das kleine und feine Sommerfestival in Tiefurt, bei diesem bin ich künstlerischer Leiter. 

Sollte man das Schauspiel in Erfurt wieder neu etablieren?

Ich finde Initiativen diesbezüglich immer gut. Alles, was den Standort kulturell nach vorn bringt, bringt uns letztendlich alle nach vorn.

Auf der anderen Seite sehe ich dann immer uns und da bin nochmal bei dem Thema Wertschätzung. Wir machen mit dem Theatersommer seit fast 20 Jahren hier in Erfurt Theater und die Wertschätzung fehlt sowohl finanziell als auch inhaltlich. Da kommt einfach nichts. Weder unser Kulturdirektor noch der OB sind jemals in irgendeiner Inszenierung des Theatersommers gewesen, und wir haben immerhin jährlich ca. 20000 Zuschauer.

Der „Höhepunkt“ diesbezüglich war für mich die Premierenwoche von Dracula. Während unser OB auf unsere Einladung nicht mal reagierte, war er während unserer Endproben zur Eröffnung des DM-Marktes um die Ecke. Dies sind die Prioritäten in Erfurt.

Dass die freie Kunst, in unserem Fall das freie Theater, ebenso wichtig und wertvoll ist wie das subventionierte, das scheint bei den Verantwortlichen in Erfurt leider immer noch nicht angekommen zu sein.

Du erzähltest, dass du auch Puppentheaterinszenierungen machst. Deine liebe Frau ist eine sehr bekannte Puppenspielerin – Christiane Weidringer. Ihr Beiden seid sehr erfolgreich und ihr wart gerade erst wieder unterwegs in Süddeutschland, wobei die Resonanz sehr gut war.

Ja. Wir haben jetzt mit der Inszenierung der Zauberflöte für uns auch so einen kleinen Quantensprung vollzogen, weil wir da wirklich etwas Neues gemacht haben.

Eine Zauberflöte in dieser Fassung gibt es noch nicht. Auch die Entscheidung, mit den Puppenbauern Barbara und Günter Weinhold aus Berlin erstmalig zusammenzuarbeiten, war richtig und hat der Sache einen riesigen Schub gegeben.

Die Zauberflöte ist einfach eine tolle Fassung geworden und Christiane kommt in diesem Stück auch so richtig zur Geltung. 

Ja, sie spielt mit Leidenschaft. Ich hatte die Ehre und Gelegenheit im vergangenen Jahr auf der Tiefurter Ilminsel eure Zauberflöte miterleben zu dürfen. In der Region, ob Erfurt oder Weimar, hört man auch viel davon. Das ist eine unwahrscheinlich große Resonanz. Gratulation!

Wird es in dieser Richtung in den nächsten Jahren weitergehen?

Ja, natürlich wird das weitergehen. Aber noch sind wir mit der Zauberflöte beschäftigt. Innerhalb der vergangenen 60 Vorstellungen hat sich dieses Stück noch weiterentwickelt.

Es ist somit nicht mehr dasselbe wie zu Beginn. Nein, die Zauberflöte ist jetzt noch viel besser!

Also ein richtiges Kunstwerk?

Ja, sie ist wirklich ein komplexes und komplettes Kunstwerk.

Wir hatten vor kurzem in Leipzig eine wunderschöne Aufführung im Gartentheater Abtnaundorf, dabei ist gleich ein Folgeauftritt für uns „herausgesprungen“.

Somit ist noch einmal richtig was passiert und natürlich wird es da weitergehen. Jetzt müssen wir aber erst mal die ganzen Anfragen abarbeiten.

Man kann wirklich nur gratulieren und sich freuen, wenn wir Gelegenheit haben, darüber nochmal zu sprechen bzw. das Ergebnis zu sehen. Vielen Dank für das kleine Gespräch, lieber Harald!

Ich habe aber eins vergessen. Ich muss einfach auch nochmal auf die Erfurter Apostelgemeinschaft verweisen, bei der du Mitglied bist. Vielleicht kannst du mir mal in einem Satz sagen, was für dich die Veranlassung war, der Gemeinschaft beizutreten?

Die Veranlassung war zunächst Hannes Stappel. Er ist auch Mitglied der Apostelgemeinschaft und schon seit Jahrzehnten sowohl mit dem Kabarett „DIE ARCHE“ als auch dem Erfurter Theatersommer verbunden.

Er ist auch Förderer der Einrichtungen.

Es war somit eine persönliche Ansprache, dich dafür zu gewinnen?

Ja. Er fragte mich irgendwann, ob ich Interesse an der Erfurter Apostelgemeinschaft hätte. Er erzählte mir ein bisschen, allerdings war damals die Terminsuche schwierig, um ein erstes gemeinsames Treffen zu organisieren.

Erfreulicherweise ist die Apostelgemeinschaft dann zur Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens (der einzigen Inszenierung, bei der ich mitspiele!) gekommen. Danach haben wir zusammengesessen und so fing es an.

Danke für dieses Interview, lieber Harald!

Der Waidspeicher in Erfurt, Spielort des Kabaretts DIE ARCHE. Foto: DIE ARCHE

Kurzvita

Harald Richter ist Jahrgang 1970, er lebt und arbeitet als freiberuflicher Regisseur seit vielen Jahren in Erfurt. Seine Inszenierungen für das Kabarett „DIE ARCHE“ sowie für den „Erfurter Theatersommer“ sind bei einem breiten Publikum bekannt und beliebt. Seit Sommer 2014 ist er künstlerischer Leiter des „Sommertheater Tiefurt“. Seit 2016 Mitglied der Erfurter Apostelgemeinschaft.Seit 2017 Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des Erfurter Kabaretts DIE ARCHE.