“Wer seine Heimat liebt, macht sie besser.”

ERFURT KONKRET:

“Wer seine Heimat liebt, macht sie besser.”

Interview mit Jens Panse, dem ehemaligen Pressesprecher der Universität Erfurt, über sein Verhältnis zu seiner Geburtsstadt, seinen Heimatbegriff, die Disziplinlosigkeit im Stadtrat, seine Kandidatur für dieses Gremium und seine Vorstellungen von gelebter Demokratie

Am 26. Mai wird in Erfurt ein neuer Stadtrat gewählt. 302 Kandidaten stehen zur Wahl. Einer der zum ersten Mal auf dem Stimmzettel steht, ist der 52-jährige langjährige Pressesprecher der Erfurter Universität, Jens Panse. Der studierte Diplomlehrer für Mathematik und Physik lebt seit einem Jahr wieder in seiner Geburtsstadt Erfurt und tritt jetzt hier erstmals für die Freien Demokraten zur Kommunalwahl an. Der Name Panse ist aber in Erfurt nicht unbekannt. Das liegt zum einen an dem Kandidaten selbst, der als Präsident des Universitätssportvereins und Mitbegründer der Erfurter Herbstlese in der Stadt seit vielen Jahren bürgerschaftlich engagiert ist, aber auch an seinem Zwillingsbruder Michael, der im Stadtrat die Fraktion der CDU anführt und als Spitzenkandidat der Christdemokraten antritt.

AKTUELLES sprach vier Wochen vor der Wahl mit dem “liberalen Panse”, wie man gelegentlich auch als Unterscheidungsmerkmal für die Zwillingsbrüder formuliert.

Jens Panse. Fotos: J.P.

Jens Panse vor der Universität Erfurt.

Jens Panse mit dem Fahrrad unterwegs in Erfurt.

Herr Panse, zurück in Erfurt, was bedeutet für Sie Heimat?

Erfurt ist meine Geburtsstadt, in der ich aufgewachsen bin und meine Ausbildung absolviert habe. Meine erste Stelle als Lehrer bekam ich 1989 im 20 Kilometer entfernten Dachwig, wo ich dann 28 Jahre gewohnt und mich kommunalpolitisch als Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister für die Interessen der Menschen vor Ort eingesetzt habe.

Nach meiner Rückkehr an die wiedergegründete Uni war Erfurt in den letzten mehr als 25 Jahren mein Arbeitsort und stand im Mittelpunkt des sportlichen und kulturellen Engagements. Als Botschafter für Erfurt habe ich für meine Heimatstadt geworben, die für mich immer die schönste Stadt in Deutschland war und ist. Jetzt, wo ich wieder mit meiner Familie in Erfurt wohne, möchte ich mich hier auch gern kommunalpolitisch engagieren. “Wer seine Heimat liebt, macht sie besser.” – Den Ansatz finde ich richtig und gut.

Wie kann man Ihrer Meinung nach beim Heimatbegriff die Stadtgesellschaft einbeziehen?

An Kandidaten für den Stadtrat, die Erfurt besser machen wollen, mangelt es ja offenbar nicht. Für seine Heimatstadt kann man sich aber auch auf andere Weise vielfältig einsetzen. Die Initiative “Fremde werden Freunde” ist für mich so ein ganz wunderbares Beispiel. Wie viele andere Erfurter habe ich mich seit der Gründung im Jahr 2000 in dem Patenschaftsprogramm um ausländische Studierende gekümmert und ihnen meine Heimat nähergebracht, aber auch ein Gefühl von familiärer Geborgenheit so fern ab von ihrer Heimat vermittelt. Eine Stadt wie Erfurt sollte auch Menschen, die zugezogen sind oder nur vorübergehend hier wohnen, die Chance geben, hier heimisch zu werden.

Herr Panse, ist einer aus der Familie im Stadtrat zu wenig?

Ich denke, der Erfurter Stadtrat kann frischen Wind und neue Ideen auf jeden Fall brauchen. Ich bringe kommunalpolitische Erfahrung aus 14 Jahren Arbeit im Gemeinderat und als stellvertretender Bürgermeister in Dachwig mit.

Als ich das Amt vor einem Jahr übergeben habe, war der Ort schuldenfrei und gehörte zu den wenigen Gemeinden im ländlichen Raum, denen ein weitere positive Entwicklung prognostiziert wird.

Jetzt hat sich mit dem neuen Haushalt in Erfurt die Pro-Kopf-Verschuldung gerade auf rund 1.000 Euro verdoppelt…

Der Schuldenstand von Erfurt betrug Anfang 2019 etwa 112,5 Millionen Euro. Das Ziel, die Schuldenfreiheit Erfurts bis zum Jahr 2025 zu erreichen, wurde von den Verantwortlichen bereits aufgegeben. Dringend notwendige und gesetzlich geforderte Mindestrücklagen für defizitäre Haushaltsjahre wurden nicht gebildet. Stattdessen sind die Verwaltungskosten weiterhin zu hoch und die Investitionen viel zu gering.

Droht der Landeshauptstadt der Bankrott?

Wenn man nicht umsteuert, ja! Die Mittel für dringend notwendige Investitionen, etwa in die Schulinfrastruktur oder die Bundesgartenschau 2021, dürfen nicht durch immer neue Kredite finanziert werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass durch ein striktes Ausgabenmanagement und entsprechende Maßnahmen der Qualitätssicherung, genügend Mittel im Verwaltungshaushalt zur Verfügung stehen. Erfurt hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.

Wie kann man denn diese Situation dem Bürger so vermitteln, dass sich was ändert?

Wer schulpflichtige Kinder hat, kennt die Dramatik der Situation, für die es ganz schnell Lösungsansätze geben muss, die über Taschenspielertricks hinausgehen. Der KOWO-Verkauf an die Stadtwerke wird uns jetzt als einzige Option zur Finanzierung der dringend erforderlichen Investitionen in die Schulen und Kindergärten präsentiert. Der Schulnetzplan wurde deshalb noch immer nicht verabschiedet. Obwohl seit Jahren absehbar ist, dass die Kinderzahlen steigen, wurde das Problem nicht angegangen. Die Multifunktionsarena war vielen Stadträten offenbar wichtiger.

Jens Panse vor dem Haus Dacheröden, dem Domizil des Literaturvereins Erfurter Herbstlese.

Jens Panse als Präsident des Universitätssportvereins in der Uni-Sporthalle Erfurt.

Jens Panse beim Thüringen ULTRA, einem Ultralauf auf einem 100 Kilometer Rundkurs mit über 2150 Höhenmeter.


Was sollte sich unbedingt noch ändern?

Als Bürger von Erfurt verfolge ich seit einem Jahr intensiv die Stadtratspolitik und ärgere mich über mangelnde Entscheidungsfreude, fehlende Diskussionskultur und Verantwortung der gewählten Stadtratsmitglieder.

Dass eine Stadtratssitzung wegen Beschlussunfähigkeit abgebrochen werden muss, wirft ein schlechtes Licht auf die Mitglieder. So eine Disziplinlosigkeit habe ich in meiner Verantwortung als Sitzungsleiter bei meinen Gemeinderäten in all den Jahren nie erlebt.

Welche politischen Schwerpunkte setzen Sie für den Fall Ihrer Wahl in den Stadtrat?

Ich möchte mich für die Interessen der rund 10.000 Studierenden von Uni und Fachhochschule in der Landeshauptstadt einsetzen. Mein Eindruck ist, dass die Stadt zu wenig aus ihrem Potential als Hochschulstandort macht.

Der Oberbürgermeister und die Stadträte müssen sich auf Landesebene unnachgiebig gegenüber der Landesregierung für die Schaffung von Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Studium an der Uni und der FH einsetzen.

Attraktiver studentischer Wohnraum, Infrastruktur mit Nahverkehr und Radwegen sowie Sport- und Kulturangeboten in einer pulsierenden Innenstadt ziehen auch künftig junge Menschen aus aller Welt nach Erfurt.

Erfurt bezeichnet sich gern als „Sportstadt“…

Die Stadt hat in den vergangenen Jahren sehr viel in Sportstätten für den leistungsorientierten Sport investiert. Ob jede Investitionsentscheidung vernünftig war, wird die Zukunft zeigen. Mit ihrer Kinder- und Nachwuchsarbeit legen die mehr als 300 Sportvereine in der Stadt Erfurt den Grundstein für einen erfolgreichen Leistungssport, umso wichtiger ist es, dass sie entsprechende Bedingungen vorfinden. Die Beendigung des Sanierungsstaus bei den Erfurter Sportstätten hat für mich deshalb Vorrang gegenüber Neubauprojekten für den Spitzensport. Schulsporthallen und Sportplätze müssen saniert und eine dritte Schwimmhalle im Erfurter Norden errichtet werden, damit wieder mehr Kinder frühzeitig das Schwimmen erlernen können.

Da sind wir wieder bei den Finanzen. Höhere Ausgaben bei den Investitionen versus drohender Finanzmisere. Brauchen wir vielleicht nicht auch neue Überlegungen zum Leitbild der Stadt. Mitunter hat der Bürger das Gefühl, die Stadt gedeiht, ohne politisch geführt zu werden.

Ich lese in der Presse oft von unserem Oberbürgermeister, zu diesem oder jenem Beschluss gäbe es keine Alternative. Das kann ich nicht glauben. Bis heute hat der OB kein Personal- und Qualitätsentwicklungskonzept für die Stadtverwaltung vorgelegt, es gibt also bislang nicht mal den Versuch, im eigenen Verantwortungsbereich etwas zu ändern. Die Verwaltung als „Bürgerdienstleister mit finanziellem Sachverstand“. Erfurt als “Smart City bei Digitalisierung und Verkehr”, mir fallen da einige Überschriften für ein neues Leitbild ein.

Wo bleibt die Kultur in Erfurt?

Mit Michael John, Dirk Löhr und Peter Glotz habe ich 1997 die Reihe „Erfurter Herbstlese“ begründet. Seit 1999 bin ich stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins, der vor zwei Jahren auch die Verantwortung für das Kulturhaus Dacheröden übernommen hat. Die Veranstaltungen der Festivalreihen “Erfurter Herbstlese” und “Erfurter Frühlingslese” ziehen Publikum auch von außerhalb an. Wir wollen mit neuen Veranstaltungsformaten, interessanten Themen und Inhalten weitere Besucher auch über die Stadtgrenzen hinaus anziehen. Die Profilierung des Hauses mit einem vielfältigen Angebot – so auch der Soziokultur und der freien Szene – bleibt ständige Aufgabe für alle Beteiligten. Als Stadtrat möchte ich daran mitwirken, Erfurt auch zu einer Kulturhauptstadt zu machen.

Was macht der „Vereinsmensch“ Jens Panse, wenn er mal keinen Vorstandstermin hat?

Er läuft, vorzugsweise im Steigerwald oder auf dem Rennsteig, beispielsweise am 18. Mai zum 34. Mal und diesmal wieder auf der Langdistanz von Eisenach nach Schmiedefeld. Außerdem genieße ich es, mit dem Fahrrad zur Arbeit an die Uni zu fahren. Das Motorrad kommt seit dem Umzug nach Erfurt nur noch gelegentlich am Wochenende zum Einsatz. Meiner journalistischen Profession, fröne in nach 25 Berufsjahren als Pressesprecher noch mit gelegentlichen Beiträgen für die Sportpresse und als Moderator bei Sportveranstaltungen oder dem Universitätsball.

Vielen Dank für das Gespräch und weiter viel Kraft und Erfolg bei den zahlreichen Projekten!

Jens Panse anlässlich der Erfurter Herbstlese 2015 im Gespräch mit Fußball-Trainer-Legende Eduard Geyer.

Vita

Jens  Panse ist 52 Jahre alt, in Erfurt geboren, verheiratet und hat 2 Kinder.

Beruf: Dipl.-Lehrer für Mathematik/Physik

Ausgeübte Tätigkeit: Beauftragter für Gesundheitsförderung und Diversität an der Universität Erfurt

Ehrenamtliches Engagement: Präsident des Universitätssportvereins Erfurt e.V, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Vereins Erfurt Herbstlese e.V., Präsidiumsmitglied des GutsMuths-Rennsteiglaufvereins e.V. und Vorstandsmitglied der Universitätsgesellschaft Erfurt e.V.

Politisches Engagement: Mitglied der FDP seit 1989, Mitbegründer der Jungen Liberalen in Thüringen, Pressesprecher des Stellv. Ministerpräsidenten 1991-1995, Pressesprecher der FDP 1995-1999, 2014-2015 und der FDP-Landtagsfraktion 2010-2014, Gemeinderatsmitglied und Stellv. Bürgermeister in Dachwig 2004-2018 und Vorsitzender des FDP-Kreisverbandes Gotha 2009-2018.

Kommunalpolitische Forderungen: Hochschulstandort Erfurt ausbauen, Schulen und Schulsporthallen sanieren, Vereine fördern, Ehrenamt stärken und die Verschuldung begrenzen.